Lose Your Head

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Der Spanier Luis reist nach Berlin, um sich mit Partys, Drogen und schnellem Sex von der Trennung von seinem Ex abzulenken. Dort wird er mit dem griechischen Studenten Dimitri verwechselt, der seit Wochen verschwunden ist. Nach einer durchfeierten Nacht verknallt er sich in den mysteriösen Ukrainer Viktor, der irgendetwas mit Dimitris Verschwinden zu tun hat. Was wie ein ausgelassenes Abenteuer beginnt, entwickelt sich zu einer atemlosen Hetzjagd, bei der Luis droht, seinen Kopf zu verlieren. Patrick Schuckmann und Stefan Westerwelle nutzten in „Lose Your Head“ die Berliner Partyszene der 2010er Jahre als Hintergrund für einen intensiven Psychothriller, in dem die Grenzen zwischen Traum, Wirklichkeit und Paranoia immer mehr verschwimmen. Jetzt gibt es den Film im Salzgeber Club zu sehen. Jochen Werner über ein atmosphärisches Vexierspiel aus Nachtbildern und Clublichtern, in dem eine Figur beim Versuch die Stadt zu umarmen seine Souveränität als Individuum aufs Spiel setzt.

Foto: Salzgeber

Berlin Mystery Tour

von Jochen Werner

So, also hierher kommen die Leute, um zu leben, ich würde eher meinen, es stürbe sich hier. Berlin, das kann ein Fegefeuer sein und ein Mahlstrom, und den, der hier unvorbereitet hineingerät, den verschluckt die Stadt mit Haut und Haar und lässt ihn nie wieder los. Der süße Spanier Luis meint genau zu wissen, was er von der Stadt will. Als klischeetrunkener Partytourist stolpert er in die Clubszene hinein, um dort Spaß, Drogen, Sex, Ekstase zu finden – Balsam, um den Schmerz der Trennung von seinem Ex-Freund Carlos zu lindern.

Vom Flughafenterminal direkt auf die Tanzfläche geht es schon im Vorspann von „Lose Your Head“, auch wenn Luis dort noch nicht angekommen ist. Das von violett-rosa fluoreszierendem Licht gestreichelte und von kristallin pulsierenden Elektrobeats untermalte Treiben auf dem Dancefloor braucht ihn nicht, braucht im Grunde niemanden, es scheint sich fast unabhängig von den Individuen zu ereignen, aus denen es sich zusammensetzt. Eine fluide Substanz, in die man hinein- und aus der man wieder herausgleitet, ohne dass sich an ihrer Beschaffenheit etwas ändert. Eine Party, die vergisst, wie das Zuendegehen funktioniert.


Luis ist aber noch nicht Teil des rosafarbenen Traums vom Glück. Seine Farbe ist ein etwas beißendes Grün, manchmal auch ein Nachtblau, das etwas Tod mit sich trägt. Im Grün aber trifft er auf den mysteriösen Ukrainer Viktor, auch wenn ihn eine schöne blonde Weiblichkeit mit sich zieht, zunächst ins Pink, dann ins Sonnenlicht und schließlich in ihre Wohnung und ihr Bett, wo dann freilich aus physiologischen Gründen schnell Schluss ist mit all dem queeren Hedonismus.

Zwischen Carlos und Viktor passt hier keine Grit, und der einigermaßen zugedröhnte Luis wird kurzerhand in der verschlossenen Wohnung zurückgelassen, während die Clique, die ihn kurzzeitig umspülte, zur nächsten After-Hour weiterzieht. Nur ein schwarzer Kater bleibt zurück, als die Feuerwehr den Eingesperrten befreit, und im Kater Holzig, am pastellbunten Fotoautomaten, taucht schließlich Viktor wieder auf. Man landet auf der sonnenbeschienenen Tanzfläche, dann im Fluss und schließlich im Bett – diesmal im richtigen. Die beiden verbringen die Nacht miteinander, und ein gemeinsames Frühstück macht aus einem One-Night-Stand eine Liebesgeschichte.

Foto: Salzgeber

Von diesem Moment an möchte „Lose Your Head“ mehr sein als ein Berlinfilm, ein Clubfilm, ein Elektropopfilm. Schade eigentlich. Denn seine schönsten Momente hat der Film von Stefan Westerwelle und Patrick Schuckmann in jenen Augenblicken, in denen er ganz bei sich ist, in denen er nichts erzählen zu müssen glaubt und sich ganz in atmosphärischen Momentaufnahmen verliert. Das Herumhängen nach einer viel zu langen Clubnacht, die drogengeschwängerten Gespräche dieser schier endlos sich zerdehnenden Zeit, rastlos zwischen Philosophie, Anekdote und Nonsens oszillierend, die weichwattige, rosafarbene Gedämpftheit dieser langen Tage, die nur für die anderen wirklich Tage sind – in diese Momente hätte man sich mühelos zwei Stunden wohlig hineinkuscheln können, hoffend, dass es nie wieder anders wird. Aber „Lose Your Head“ hat auch etwas zu erzählen.

An der Oberfläche der reinen Plotmechanik ist Westerwelles und Schuckmanns Film ein recht klassisch konstruierter Mystery-Thriller: ein Geheimnis um eine abwesende, enigmatische Figur, die vielleicht tot ist, ein Liebhaber, der vielleicht ein Mörder ist, und eine unerzählte Geschichte, die mit Macht ans Licht des Tages und der Erkenntnis drängt. Die Geschichte eines Findens oder Wiederfindens, einer Wahrheit also. Einer Wahrheit freilich, die weder besonders originell noch besonders interessant ist – wesentlich mehr Faszinationskraft entwickelt „Lose Your Head“, wenn man seine narrative Camouflage in eine Tiefenstruktur hinein durchstößt und die, unterhalb des Radars, stets miterzählte Geschichte eines umfassenden Verlustes verfolgt. Denn bevor er seinen Kopf zu verlieren droht, muss Luis zahlreiche ganz konkrete Verluste hinnehmen.

Foto: Salzgeber

Zuerst vermisst der junge Spanier, schon nach seiner ersten Berliner Clubnacht, lediglich seine Mütze, doch bald schon muss auch sein Kopfhaar dran glauben. Viktor gestaltet seine verwuschelten Haare zu einem militärisch ausrasierten Szene-Schnitt um – der unbedarfte Luis wird Schritt für Schritt zum stylish uniformierten Berlin-Hipster. Fast wie Kim Novak in Hitchcocks „Vertigo“ (1958) gerät hier ein Mensch in die Mühlen der Bilder, nach denen man ihn formen will, und setzt beim Versuch, diese Stadt zu umarmen, seine Souveränität als Individuum aufs Spiel. Der Preis, den man für die Hipness zu zahlen hat, so scheint alles in „Lose Your Head“ zunächst zu schreien – ein Fanal gegen die Stilfaschismen der Subkulturen? Gegen die Mainstreams der Minderheiten, ihre Nivellierungen und Dresscodes?

Ein aufregender, kritischer und subversiver Ansatz wäre das für einen so offensiv mit touristischem Gestus kokettierenden schwulen Szenefilm wie diesen, und zwischen den Sequenzen und Bildern blitzt er auch in der Tat, jedenfalls momenthaft, immer wieder einmal auf. „Lose Your Head“ lässt sich durchaus lesen als eine subtile und doch beißende Kritik an exakt jener schon ein wenig abgegriffenen Berliner Nachtleben-Ästhetik, die er offen aufgreift und bedient. Wenn er nur nicht so umständlich gebaut wäre, und wenn er nur seine spannenden Subtexte nicht fortwährend unter schnödem Plot verstecken würde. Denn in dem Moment, in dem das Geheimnis endlich in das Drehbuch von Patrick Schuckmann eintritt, beginnt nahezu alles andere sich, wie von magnetischer Kraft angezogen, um dieses zentrale Mysterium zu gruppieren. Es ist dann, wie es in vielen Filmen ist: Für die wirklich interessanten Dinge bleibt kein Platz mehr sich zu ereignen, wenn der Erzählapparat erst einmal angeworfen wird. Man kann dann „Lose Your Head“ beim Zerbrechen zuschauen – aber unter dieser abgestreiften Außenhaut kommt ein interessanterer Film zum Vorschein.

Foto: Salzgeber

Zunächst aber versklavt er sich, nach dem erfreulich entspannten Auftakt, für eine ganze Weile an das Erzählen: Luis gerät an Elena, die ihn mit ihrem spurlos verschwundenen Bruder Dimitri verwechselt – kein Wunder, trägt er doch dessen Frisur und dessen T-Shirt. „There must be thousands of stupid shirts like this“, so stellt Elena resigniert, aber treffend fest, und aus dem etwas naiven Partytouristen Luis ist einer geworden, der in Reih und Glied der Hipsterbrigade marschiert und dessen T-Shirt ihn als einen Niemand unter Tausenden abstempelt. Einen Niemand aber, der einem Geheimnis nachspürt und dabei letztlich vor allem deshalb hinab in den Kaninchenbau steigt, um um seine eigene Identität zu ringen.

Bald drängen sich zahlreiche Fragen um den Abwesenden auf: Handelt es sich bei Dimitri etwa um die enthauptete Leiche, die kürzlich aus der Spree gefischt wurde? Oder aber doch um den Straßenräuber, der Luis beim eher kläglich gescheiterten Cruising-Versuch niederschlägt und abzieht? Die Fotos und Erinnerungsstücke Dimitris, die Luis beim heimlichen Stöbern in Viktors Wohnung entdeckt, deuten jedenfalls darauf hin, dass Viktor tiefer in dessen Verschwinden verstrickt ist, als er zuzugeben bereit ist, und gemeinsam mit Elena versucht Luis, der Wahrheit auf die Spur zu kommen. Aber eine Wahrheit, wie muss man sich die eigentlich vorstellen in dieser Berliner Nachtwelt? Und hat sie, wenn sie sich doch immer nur auf Einzelschicksale bezieht, für das im pinkfarbenen Licht tanzende Kollektiv überhaupt irgendeine Bedeutung? Zwischenzeitlich jedenfalls beginnt sich der Film zu verdichten, auf einen Showdown hin, und dann stirbt auch tatsächlich jemand, aber schlussendlich tut das alles nichts zur Sache. Alle Protagonist:innen, die auf den Spuren eines Berliner Mysteriums durch den Film irrten, finden sich am Ende auf diesem violett-rosa Dancefloor wieder. Und der Tod wird einfach außer Kraft getanzt.




Lose Your Head
von Patrick Schuckmann und Stefaan Westerwelle
DE 2013, 96 Minuten, FSK 16,
mehrsprachige OF, teilweise mit deutschen UT

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