Mann im Bad (2010)

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Für „Mann im Bad“, ein Drama über das Ende der Liebe zwischen einem Regisseur und einem Sexworker, besetzte Christophe Honoré („Chanson der liebe“, „Sorry Angel“, „Der Gymnasiast“) den französischen Porno-Superstar François Sagat für eine der Hauptrollen. Sagat definiere für ihn den Begriff der Männlichkeit völlig neu, sagte Honoré später in einem Interview. Aus der beeindruckender Physis seines Schauspielers entwickelt der Regisseur eine explizite Studie über Lust, Begehren und tiefe Melancholie. Auch für Jan Künemund ist Sagats nackter Körper ein purer Kino-Akt. Zu einem Filmvergnügen wird „Mann im Bad“ aber nicht nur durch diese explizite Attraktion, sondern auch durch die freie und mühelos selbstreflexive Kombination wilder Dinge.

Foto: Salzgeber

Song of Lost Love

von Jan Künemund

So einfach kann Kino sein: „Stell deinen Freund oder deine Freundin vor die Kamera und fang an zu drehen.“ Wenn Christophe Honoré so die Initiative für „Mann im Bad“ schildert, beruft er sich auf die Nouvelle Vague, könnte aber auch das Queer Cinema meinen, denn was anderes haben Warhol, Bidgood, Smith, Jarman, Fassbinder, Ottinger auch nie gemacht.

„Mann im Bad“ ist ein dreckiger kleiner Film mit einer simplen, traurigen Geschichte: Ein Mann verlässt für eine Woche die Stadt und sagt seinem Liebhaber, dass er weg sein soll, wenn er wieder kommt. In dieser Woche wird der eine Mann, ein Filmemacher namens Omar, in New York mit seiner Freundin Chiara einen gemeinsamen Film vorstellen, Vorträge an der School of Visual Arts halten, den Filmhochschüler Dustin kennenlernen, mit ihm Sex haben, zu Songs tanzen, die von Aufbruch und Neuanfang handeln, in eine leere Wohnung zurückkehren. In dieser Woche wird der andere Mann, ein in den Tag lebender Bodybuilder namens Emmanuel, die Wohnung putzen, einem Nachbarn seinen Körper für Geld anbieten, diverse Jungs zu sich einladen, um mit ihnen zu ficken, dabei an Omar denken, zu Songs tanzen, die von Liebeskummer und Herzschmerz handeln, schließlich eine Zeichnung von Omar an der Wand der gemeinsamen Wohnung hinterlassen.


So einfach kann Kino sein: Christophe Honoré hat auf einer New-York-Reise mit einem kleinen Camcorder gefilmt – seine Freundin Chiara (Mastroianni), seinen Liebhaber Dustin (Segura-Suarez), das Publikum seines Films, Partys und Gespräche, seinen eigenen Sex. Durch den einfachen Kunstgriff, Omar vorher als Filmemacher mit einem kleinen Camcorder einzuführen, macht er daraus das Videotagebuch von einem, der seinen Liebhaber verlassen hat.

„Mann im Bad“ ist ein Gemälde von Gustave Caillebotte, einem Zeitgenossen von Edgar Degas, der wiederum über 100 Frauen im Bad gemalt hat. Dahinter stand das Projekt eines Herauslösens des menschlichen Akts aus der Pose, aus dem frontal für den Malerblick gemachten Körperbild. Der menschliche Körper wird nun quasi unbemerkt bei alltäglichen Tätigkeiten festgehalten, dem Abtrocknen, sich Waschen, dem Reinigen der Badewanne. Das Auge des Malers ist dabei ein voyeuristisches Organ, es sieht in die Intimsphäre anderer und wird dabei nicht bemerkt. Caillebottes Akt ist in diesem Kontext der einzige männliche – man sieht einen muskulösen Körper von hinten beim Abtrocknen, den Mittelpunkt des Bildes bildet der Arsch.

Foto: Salzgeber

Der Arsch des Darstellers von Emmanuel, François Sagat, ist berühmt. Eine Frau im Film möchte ihn gar mit ihrem eigenen vergleichen und fordert ihn zum Hosenrunterlassen auf. Omar richtet gleich zu Beginn die Kamera auf ihn, während Emmanuel sich im Bad abtrocknet. Die Entdeckung des voyeuristischen Blicks führt zur Erotisierung, Emmanuel will Sex, Omar will los, Emmanuel nimmt sich, was er will, Omar verlässt ihn. Der filmische Akt hat Konsequenzen. Sagat ist Pornodarsteller und hat seinen Körper für den begehrlichen und den bewundernden Blick der Kamera moduliert. Omar Ben Sellem, der Darsteller des Omar, ist ein hübscher Typ, der bei Honoré jetzt Schauspieler ist.

So einfach kann Kino sein: Honoré hat seine kleine Geschichte mit Gemälden, Songs, Literaturzitaten, Jungs von der Straße und einem Gastauftritt von Dennis Cooper aufgefüllt. Alle bringen eine eigene Welt, eine eigene Realität, eine eigene Poesie in den Film ein. Kein Drehbuch ist nötig, das Thema, Trennung und Neuanfang, ist elementar und trägt. Die Konstruktion aber bekommt etwas bewundernswert Offenes, da die Gastauftritte der Menschen und Dinge und der inszenierte Rahmen so frei und präzise aufeinander reagieren. Omar und Emmanuel leben in einer Sozialwohnung, in einem Hochhaus in Gennevilliers. Gennevilliers (auch so ein freies, offenes Motiv) ist heute ein schmuckloser Vorort von Paris, war im 19. Jahrhundert aber ein bei impressionistischen Malern wie Degas und Caillebotte als Inspiration und Motiv beliebter Ort. Omar und Emmanuel betrachten die Welt vor ihrem Wohnriegel wie der „Mann auf dem Balkon“, einem weiteren Gemälde von Caillebotte, durch den Malerblick beim Betrachten festgehalten wie Omar in „Mann im Bad“ beim Filmen.

Foto: Salzgeber

Zu den denkbar unromantischen Bildern vom Gennevilliers-Hochhaus kommt der erste Song, „How Insensitive“, ein Bossa-Nova-Hit von Jobim und De Moraes, hier gesungen von Nancy Wilson, auf ihrem Album „Nancy Wilson Sings Songs of Lost Love“. Dazu putzt Emmanuel die Wohnung, in knappen Shorts und T-Shirt. Pornodarsteller Sagat performt das mit der Schrubberstange zwischen den Beinen, mit ejakulierendem Sprühreiniger und beflecktem Trockentuch. Nancy Wilson dazu: „Was soll man tun, wenn eine Liebesaffäre am Ende ist?“ So funktioniert die freie Kombination wilder Dinge in diesem Film und Sagat präsentiert das umwerfend und geübt dem Kamerablick.

Für Honoré ist Sagats Körper ein 1990er-Jahre-Auslaufmodell. Testosteron, Steroide, Muskeln als Männlichkeitsperformance für das schwule Begehren. Dagegen setzt er die hübschen weichen Jungs, die freier in ihrer Sexualität sind und sich nicht auf eine Orientierung festlegen. Jungs wie Omar, wie dessen neuer Liebhaber Dustin und wie die vielen Jungs, die sich Emmanuel als Ersatz für Omar in die schmerzend leere Wohnung holt. Tatsächlich ist aber Sagat das Aufregendste an „Mann im Bad“: Er weiß, was eine Kamera macht, sein Körper ist für sie hergestellt worden, er gibt allen Handlungen, Blicken, Spannungen von Emmanuel Kino-Präsenz. Die anderen dagegen schauen cool in die Kamera, Dustin fühlt sich unbehaglich, wenn sie auf ihn gerichtet ist, sie alle wollen „natürlich“ sein, so wirken, als würden sie nicht gefilmt. Alle ziehen sich aus in diesem Film, aber nur Sagats nackter Körper ist ein Kino-Akt. „Du bist wie eine Figur, die aus jemand anderem geschnitzt ist!“ sagt Dennis Cooper als Robin zu Sagat als Emmanuel. „Du bist Kitsch, du bist schlechte Kunst, weil du nicht bewegend bist.“ Robins Rezept ist das Credo Dennis Coopers: „Schlag jemanden zusammen, sei aufgewühlt, lass dich dann anschauen, und ich werde von dir bewegt sein.“ Und legt Aznavour auf, als ironischen Kommentar auf das Beziehungsende: „Was habe ich davon, dich geliebt zu haben?“ („De t’avoir aimée“).

Das Auslaufmodell Emmanuel möchte dem Freund, der ihn verlassen hat, ein Telegramm schicken, aber die Post verschickt keine Telegramme mehr. Chiara erfährt in New York, dass Sarkozy wiedergewählt wurde. Während Emmanuel sich ficken lässt, liest ein Dritter ein Statement der katholischen Kirche zum Pädophilieskandal vor. Ein Heteropaar singt für Emmanuel Kate Bushs „The Man with the Child in His Eyes“ zur Gitarre. Vorher sagt er zur Freundin: „Ich fühle mich nicht wohl unter Schauspielern.“ An jedem Punkt könnte man ansetzen, um zu zeigen, wie irrwitzig und leichtfüßig dieser Film von Liebe, von Männern, von Körpern und von Filmen erzählt, weil er erzählen lässt. So einfach kann Kino sein.




Mann im Bad
von Christophe Honoré
FR 2010, 72 Minuten, FSK 18,
DF & französische OF mit deutschen UT

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