Kirsty Loehr: Eine kurze Geschichte queerer Frauen

Buch

In ihrem Buch „A Short History of Queer Women“ stellte die englische Autorin Kirsty Loehr, selbsternannte „Smoking tragende, schreibende Lesbe“, 2022 ihre persönlichen Schlüsselfiguren queerer Weiblichkeit vor und bürstete damit die patriarchale Geschichtsschreibung lustvoll gegen den heteronormativen Strich. Nun ist Loehrs literarischer Schaulauf der verkannten Ikonen in deutscher Übersetzung beim Aufbau Verlag erschienen. Can Mayaoglu hat sowohl die englische Ausgabe als auch die Übersetzung gelesen und sich quasi doppelt in den schmissigen Schreibstil und die Protagonistinnen des Buches verliebt.

That You Exist

von Can Mayaoglu

Nach Amelia Possanzas „Lesbian Love Story – A Queer History of Sapphic Romance“ von 2023 gibt es nun also ein weiteres Buch, das die blinden Flecken der lesbischen Weltgeschichte in den Fokus nimmt. In punkto Unterhaltungswert läuft die in Brighton als Lehrerin arbeitende englische Autorin Kirsty Loehr mit ihrem Debüt „Eine kurze Geschichte queerer Frauen“ der „Lesbian Love Story“ tatsächlich den Rang ab. Versuchte Amerikanerin Possanza der unerzählten Geschichte lesbischer und queerer Frauen auf einer eher ernsten Erzählebene beizukommen, indem sie sie mit ihrem eigenen Leben abglich, tut Loehr das Gleiche auf typisch britische Weise: pointiert, bissig und abgeschmeckt mit einer deftigen Prise trockenen Humors.

Auf Instagram verrät Loehr, dass die Idee für das Buch entstanden sei, nachdem sie einen Brief gelesen hatte, den US-Dramatikerin Lorraine Hansberry 1957 an das lesbische Magazin „The Ladder“ schrieb. Darin bedankte Hansberry sich bei der Redaktion dafür, dass sie ihr endlich das Gefühl gab, gesehen zu werden. Loehr ließ sich von dem Schreiben erst zum Thema ihrer Magisterarbeit (Fachgebiet „Transnationales kreatives Schreiben“) inspirieren, und schließlich zu dem Buchprojekt „A Short History of Queer Women“ – für das sie ursprünglich den Titel „I’m glad as heck that you exist“ geplant hatte, nach einem Zitate aus dem Hansberry-Brief.

Kirsty Loehr will mit ihrem Buch jenen lesbischen Frauen, die aus der Geschichte der Menschheit herausgeschrieben wurden oder gar nicht erst hineingefunden haben, zu (neuer) Sichtbarkeit verhelfen. Der Ton, den sie dafür wählt – und den Übersetzerin Janine Malz ganz wunderbar ins Deutsche zu übertragen versteht – ist nicht unbedingt erwartbar. Statt auf Bedeutungshuberei setzt Loehr auf Humor, statt auf Fachsimpelei auf persönliche Bezüge. Ihre Texte sind gezeichnet vom gefürchteten britischen Biss und stecken voller spöttischer Bemerkungen und ironischer Anekdoten. Man sieht die Autorin beim Lesen förmlich die Nase rümpfen über die Ausradierung manch weiblicher Protagonistin aus der Geschichtsschreibung, und die Faust ballen über die Ungerechtigkeiten, die der Ausradierung zugrunde liegen. Doch bei aller Empörung bleibt Loehrs Stil stets humorvoll.

Kirsty Loehr – Foto: Kirsty Loehr

„Es heißt, die Dichterin Sappho erfand die Lesbe irgendwann zwischen 620 und 570 v. u. Z.“, beginnt sie ihr mit 235 Seiten erstaunlich unepisches Heldinnen-Epos. „Da trieben es die Männer schon eine ganze Weile miteinander. Wir wissen das, weil diese Praktik schriftlich festgehalten wurde (von Männern), besungen wurde (von Männern) und begrüßt wurde (von Frauen, die angewidert waren von Männern).“ Das große Aber lässt natürlich nicht lange auf sich warten: „Will man uns wirklich weismachen, Frauen hätten nie miteinander rumgemacht, bevor Sappho daherkam und in die Hände, pardon, auf die Finger spuckte?“

Danach wird in vierzehn kurzen und nicht chronologisch geordneten Kapiteln munter durch Epochen und Länder gesprungen. Es gelingt der Autorin sehr gut, vermeintlich bekannte Biographien aus neuen Blickwinkeln zu beleuchten und weitgehend unbekannte in aller Kürze zu erschließen. Neben Europa und den USA hat Loehr auch in Asien, Afrika und dem arabischen Raum nach wegweisenden Persönlichkeiten geforscht. So sind es weniger die üblichen Verdächtigen Sappho, Virginia Woolf, Anne Lister, Emily Dickinson etc., deren Sterne in diesem Buch am hellsten strahlen, sondern vor allem jene Figuren, deren Bekanntheit entweder nachträglich getilgt oder aber um ihre queeren Hintergründe bereinigt wurden.

Zum Beispiel machen wir Bekanntschaft mit Eleanor Butler und Sarah Ponsonby. Die beiden Frauen lernten sich um 1800 kennen und lieben und bauten sich allen Interventionen ihrer Familien zum Trotz ein gemeinsames Leben in der walisischen Ortschaft Llangollen auf. Zu ihren Hausgästen zählten illustre Figuren wie Lord Byron, Anne Lister und Mary Shelley’s Ehemann Percy. Als die beiden gestorben waren, ging in der Dorfgemeinschaft von Langollen die Sorge um, an dem Ort könne ein Ruf als Lesbennest haften bleiben, also wurden Butler und Ponsonby in Überlieferungen kurzerhand vom Liebespaar zu Freundinnen erklärt. Laut Loehr begann an diesem Punkt die Geschichte des Freundinnen-Narrativs, welches die Beziehungen frauenliebender Frauen zu platonischen Verhältnissen umdeutete.

So sei es zum Beispiel auch bei Charlotte Brontë und Ellen Nussey geschehen. Die beiden lernten sich schon zu Schulzeiten kennen und lieben und blieben lebenslang eng verbunden – auch wenn Brontë sich wenige Monate vor ihrem Tod der viktorianischen Konvention beugte, dass eine Frau einen Mann zu heiraten habe. Laut Loehr verwendete Ellen Nussey nach Brontës Tod den „Großteil ihres restlichen Lebens darauf, die Erinnerung an Charlotte Brontë lebendig zu halten“, ohne jedoch in den biografischen Erzählungen über die „Jane Eyre“-Autorin als Geliebte gewürdigt zu werden. Ähnlich war es bei Eleanor Roosevelt und Lorena Hickok, die einander über Jahre Liebesbriefe schrieben. Loehr: „Doch die Geschichtsschreibung hält dennoch, wie sollte es anders sein, bis heute an ihrer Straightwashing-Version fest.“

Oft genügt der Autorin schon ein knapper Satz, um die homophobe Ignoranz der Geschichtsschreibung auf den Punkt zu bringen. So lässt sie etwa einen Exkurs über Angelina Weld Grimké mit der sprechenden Frage beginnen: „Angelina wer?“ Diesem ironischen Einstieg folgt ein umso eindrücklicherer Text über die Lehrerin, Poetin und Journalistin. Angelina Weld Grimké brachte zwischen 1920 und 1930 als Vorreiterin der Harlem-Renaissance-Kunstbewegung afroamerikanische Künstler:innen zusammen und schrieb mit „Rachel“ (1916) als eine der ersten afroamerikanischen Frauen ein Theaterstück, das die prekären Lebensbedingungen der schwarzen Bevölkerung in den USA thematisierte. Nachdem sie 1958 im Alter von 78 Jahren gestorben war, gerieten ihr Werk und ihr Name weithin in Vergessenheit. Weld Grimkés Homosexualität war ohnehin nie offen thematisiert worden und lediglich Anlass für dubiose Spekulationen. In „Eine kurze Geschichte queerer Frauen“ wird all das zum Ausgangspunkt für eine hochinteressante Neuentdeckung.

Es ist Kirsty Loehr hoch anzurechnen, dass sie verdienstvolle Figuren wie diese nicht nur in Erinnerung ruft, sondern ihnen gleichermaßen als Personen der Zeitgeschichte wie als Menschen gerecht zu werden versucht, und es ist erfrischend, dass sie sich dabei von übertriebenem Ernst und konventionellen Erzählstrategien freimacht. Ihr assoziativer Erzählstil verhindert, dass das Ganze zur trockenen Aufzählung oder zum mühsamen Fakten-Marathon verkommt und die kompakte Länge der Kapitel prädestiniert die einzelnen Abschnitte zur bekömmlichen Lektüre für zwischendurch. Aber bekömmlich heißt nicht oberflächlich. Oft ist es gerade die vermeintliche Leichtgängigkeit, die im Nachgang die Bitterkeit über die Verkennung der Protagonistinnen und ihrer Geschichten deutlich macht. Trotzdem kippt Loehrs Tonfall nie ins Zynische. Stattdessen verdeutlicht sie voller Empathie, mit welcher Integrität queere Frauen in unterschiedlichen Kulturen Ungleichheit und Ungerechtigkeiten getrotzt haben – egal ob es um die chinesische Dichterin der Qing-Dynastie Wu Zao geht, um die andalusische Prinzessin Wallāda bint al-Mustakfī, US-Stilikone Mercedes de Acosta oder eben Englands schreibende Schürzenjägerin Anne Lister.

Staunen, Aufruhr und Lachen, das im Halse stecken bleibt – das sind die widersprüchlichen Emotionen, die „Eine kurze Geschichte queerer Frauen“ hervorruft. Vor allem aber weckt die Lektüre Interesse an den Schicksalen der porträtierten Frauen, und die Hoffnung, dass wir aus ihren Geschichten lernen können. Auch über dieses Buch ließe sich sagen: „I’m glad as heck that you exist“.




Eine kurze Geschichte der Frauen
von Kirsty Loehr
aus dem Englischen von Janine Malz
235 Seiten, € 22
Aufbau Verlag

 

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